Unterwegs mit „Hugo“       

Der Jugend „nachgesegelt“

Nachdem ich unseren kürzlich erschienenen BYC-Newsletter interessiert und aufmerksam gelesen habe, und mir alle Termine fett rot im Kalender markiert habe, bin ich auf den diesjährigen BYC-Jugend-Seetörn gestoßen (stolze 946,2 Seemeilen!).

Mit großer Freude habe ich jede einzelne Zeile gelesen, ja förmlich aufgesogen. Gedanklich und mit Hilfe von Google Maps bin ich alle Seemeilen „nachgesegelt“.

Warum so viel Begeisterung? Weil ich vom 01. – 08 Juni 2019 mit dem selben Boot, der „Hugo“, eine ähnliche, nicht ganz so anspruchsvolle Tour gemacht habe.

Ich war mit einem Freund alleine auf dem schönen Segelboot unterwegs.

Sachkundiger Schlag in Breege

Wir segelten von Breege los … mit ca. 5h Verspätung, da kurz nach Übernahme des Segelboots spontan diverse Mängel auftraten. Die Frisch-Wasserpumpe funktionierte beispielsweise nur sporadisch. Der Vercharterer erwies sich jedoch als hilfsbereiter Fachmann und löste das Problem mit einem sachkundigen Schlag mit der Zange. Später sollte sich herausstellen, dass die Pumpe vielleicht doch eine gründlichere Reparatur gebraucht hätte.

Außerdem fehlte die SD-Karte für unser GPS – ein nicht unwesentliches Detail für unsere Tour. Nachdem aber alle Kleinigkeiten repariert und behoben wurden, verließ die Hugo schließlich am frühen Abend den Hafen von Breege. Fröhlich winkend verabschiedeten wir uns von unseren Bewunderern, denn wir waren das einzige Boot vergleichbarer Größe, das nur mit zwei Mann besetzt war. Sollte das etwa ein Problem sein?

Nach einer ca. dreistündigen Motorenfahrt bis zur Spitze von Hiddensee konnten wir endlich die Segel setzen und erreichten gegen 23 Uhr die schöne Bucht zwischen Arkona und Vitt. Am nächsten Morgen ging es sehr früh weiter in Richtung Nexo/Bornholm. Der Wind meinte es leider nicht gut mit uns und so erreichten wir erst nach zehn Stunden unter Motor unser Ziel. Wenigstens konnten wir bei dieser tollkühnen Überfahrt unserer Wasserpumpe genügend Zeit widmen, das Funkgerät reparieren, die Winschen fetten und das Schiff einräumen.

Nexo und Skillinge

Von Nexo ging es am nächsten Morgen weiter in Richtung Schweden. Wir erreichten gegen 19 Uhr den Hafen von Skillinge. Der Hafen ist einfach gehalten, kann aber gut als Zwischenstopp für nördlichere Törns angefahren werden. Hier haben wir eine nette Bekanntschaft mit einem älteren Ehepaar aus Deutschland gemacht, die unterwegs zum Nordkap waren. Ihr Schlusswort wird mir immer in Erinnerung bleiben: „Wir segeln nur, wenn Wetter und Stimmung passen. Wir haben es bei unserem Hobby nicht eilig und genießen. Wir haben uns! Und ab und zu ein Enkelkind, das uns besucht.“ Das fand ich sehr inspirierend! Seitdem freue ich mich auf meine Rente.

Am nächsten Morgen segelten wir weiter in Richtung Trelleborg und landeten schließlich in Gislövs Läge, einem mittelgroßen Hafen, der gut durch kleinere Läden und Restaurants erschlossen ist. Der Wind schien es nun doch noch gut mit uns zu meinen, sodass wir am nächsten Morgen guter Dinge nach Klintholm Havn aufbrachen. Es sollte eine einfache Tour werden, doch es kam alles anders…

Roll Cloud und Grillwürstchen

Eine Bavaria hing uns auf den Fersen und wir waren so mit unserem Wettkampfgeist beschäftigt, dass wir die merkwürdige Wolkenformation, die sich plötzlich am Horizont erstreckte, fast nicht wahrgenommen hätten. Die Wolke war etwa 200 Meter hoch und in der Länge nicht endend (siehe Foto). Sie zog gegen den Wind und rotierte in sich selbst rückwärts. Ein eindrucksvolles und seltenes Naturspektakel! Wie wir später herausgefunden haben, nennt man Wolken dieser Art „Roll Cloud“. Der rollenden Wolke folgte eine noch schneller drehende zweite Wolke. Da wir unkundig waren und nicht wussten, wie sich diese Wolken auf Windstärke und –richtung auswirken, beschlossen wir das Schiff für eventuell folgende Starkwinde vorzubereiten. Wir refften alle Segel.  Verblüfft mussten wir feststellen, dass der Wind aber einfach nur wild drehte und anschließend völlig zur Ruhe kam. Etwas enttäuscht warfen wir also den Motor an. Als wir unseren Zielhafen erreichten, mussten wir unsere Erlebnisse erst einmal verdauen und genossen mit einem Grillwürstchen die Abendsonne.

Warnschuss für den Proto

In Klintholm Havn machten wir Bekanntschaft mit einer Crew, die mit einem Prototypen eines dänischen Herstellers unterwegs waren. Deren Funkanlage konnte nur Signale empfangen, nicht aber senden. Ungünstig, wenn man durch militärisches Übungsgebiet fährt! Die Crew wurde mehrfach gebeten, das Militärgelände zu verlassen und sich erkennen zu geben. Da sie aber nicht senden konnten, weil beim Drücken der Sprechtaste das Funk abschaltete, wurde ein Warnschuss abgegeben. Heidewitzka, Herr Kapitän!

Am nächsten Vormittag machten wir die Leinen los in Richtung Hiddensee. Die Wetterprognosen sagten für den Abend ein Gewitter voraus. Wir segelten zunächst mit konstantem, starkem Wind und machten ordentlich Seemeilen. Das Festland war bereits zu erkennen, als die angekündigte Gewitterfront aufzog.  Furchtlos machten wir uns für etwas „mehr“ Wind bereit. Unser Messgerät zeigte 7-8bft an. Dann verabschiedete sich die gesamte Elektrik. Wir hatten unseren Standpunkt in den Karten markiert und bereits im Vorfeld Kurse für drehende Winde bestimmt. Innerhalb von wenigen Minuten, nachdem wir alles verzurrt hatten, traf es uns mit voller Wucht. Erst rissen die Gastlandflaggen und deren Leinen vollständig ab. Dann traf es auch die Deutschlandflaggenhalterung. Der Rettungsring, der Bootshacken und der Schrubber verabschiedeten sich und schließlich löste sich das eigentlich eingepackte und verzurrte Großsegel aus seinem Segelsack heraus und zog sich selbstständig nach oben.

Nadelstiche klitschnass „überlebt“

Wir schafften es nicht, das Großsegel wieder einzuholen und segelten daher unter halben Segeln parallel zur Welle. Dann steuerte ich mit 1kn voll gegen den Wind, sodass mein Kollege es irgendwie schaffte das Groß wieder runterzuholen. Da unser Autopilot ebenfalls ausgefallen war, musste einer von uns beiden steuern. Der Regen und der Wind fühlten sich wie Nadelstiche in meinem eher stark bärtigen Gesicht an. Die Sicht war kaum weiter als drei Bootslängen. Der Wind wurde, wie wir später erfahren haben, mit 8Bft in Böen 9Bft gemessen. Nach ca. 1 Stunde lichteten sich allmählich die Nebelfelder und der Wind lies etwas nach, sodass wir unseren ursprünglichen Kurs aufnehmen konnten. Gegen 23 Uhr lotsten wir uns im Flachwasser mit Taschenlampe und Karte von Tonne zu Tonne. Völlig durchgefroren und klitschnass teilten wir unseren Angehörigen zu Hause unser „Überleben“ mit. Was für ein Abenteuer!

Am nächsten Morgen funktionierte unsere Elektronik wieder und wir konnten die „Hugo“, die uns sicher durch Sturm und Wind gebracht hatte, ohne weitere Ausfälle zurück nach Breege bringen.

Wir waren etwas erschöpft, aber trotzdem zutiefst glücklich und berauscht von den Erfahrungen dieser Woche.

Die Erlebnisse haben das Feuer erneut in uns entzündet, sodass wir gerade schon wieder unseren nächsten Törn planen.

Dietrich Dörschner

Dietrich Dörschner jun. (Seemeilen 341,52 )
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